In den letzten Wochen (Juni 2019) habe ich mehrere Gespräche zum Thema meines Buches, zu „Magnetischer Unternehmenskultur“ geführt, in denen meine Gesprächspartner auf die Dringlichkeit des Themas für Unternehmen hingewiesen haben. Mein Sohn Simon, der in den USA promoviert, sagte mit Blick auf Deutschland aus der amerikanischen Perspektive:

„Deutschland könnte eine sehr starke Position haben in der digitalen Transformation, und zwar durch die Kombination von Modernität und Tradition.“

Gerade in der Transformation werde Kultur und Identität wichtiger denn je. Warum, so fragt er, sind wir so voller Selbstzweifel? Ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen ist in der Digitalen Transformation unumgänglich.

Ein anderer Gesprächspartner wies darauf hin, dass die Unternehmen, die jetzt nicht versuchen, einen Wettbewerbsvorteil durch eine magnetische Unternehmenskultur zu etablieren, in kurzer Zeit einen wachsenden Wettbewerbsnachteil haben werden im Kampf um passende Mitarbeiter und Talente.

Und dann las ich am 22. Juni einen Artikel in der WELT, mit dem Titel „UNBOSS your company – Wie erschafft ein Weltkonzern eine Hochleistungskultur? Novartis-Chef Vas Narasimhan wagt das spannendste Experiment in der europäischen Firmenszene“.[1] Der Verwaltungsratspräsident des Pharmariesen, Jörg Rheinhardt begründet die Revolution:

„Bisher ist die Pharmaindustrie eine bequeme, konservative Branche, und auch bei uns war die starke patriarchalische Führung das Maß aller Dinge. Das reicht heute nicht mehr.“

Auch die Pharmaindustrie steht vor Geschäftsmodelländerungen durch die Digitale Transformation. „Personalisierte Medizin“ ist das Schlagwort.

Eine solche „Revolution“, wie sie bei Novartis unter der Überschrift „Unboss, our story“ im Gange ist, fängt beim CEO, fängt an der Spitze an. Inspiriert wurde Narasimhan durch die Dänen Jacob Bøtter und Lars Kolind. Diese verfassten nach eigenen Angaben zusammen mit 100 Visionären aus aller Welt 2011 das Zukunftsmanifest „UNBOSS“. Der indisch-stämmige Topmanager entdeckte es auf dem Schreibtisch eines Bekannten und machte es zu seinem Programm für die Veränderung bei Novartis. Ziel: Die „führende Pharmakultur der Welt“ werden. Vorbild: Microsoft. Unter Führung des ebenfalls indisch-stämmigen Nachfolgers von Steve Ballmer, Satya Nadella.

Das Programm beginnt mit dem „Warum“, mit dem Sinn, der vor Gewinn und Börsenwert steht. Gute Zahlen sind Ergebnis, nicht Ziel. Oder in den Worten Narasimhans:

„Über Gewinn oder Aktienkurse zu reden, bringt nichts. Gute Zahlen sind das Resultat unserer Kultur.“

Und es geht unkonventionell weiter mit dem „Wie“, der Organisation, dem Prozess: Keine Berater, alles wird intern selbst gestaltet. Und der Chef sitzt nicht im Chefbüro, sondern mitten drin im „Open Space“, im Großraumbüro. PowerPoint-Präsentationen sind verboten und Fehler erlaubt, wenn sie erklärbar sind – der Kampf gegen die alte Angstkultur beginnt genau hier. Der Fokus ist ebenso klar: Es geht darum eine Kultur zu schaffen, in der das Potenzial der über 100.000 Mitarbeiter besser genutzt und die notwendige Transformation des Geschäftsmodells möglich wird. Synergie und Innovation werden, davon ist der Novartis CEO überzeugt, das Ergebnis sein. Die ersten Ergebnisse geben ihm Recht: Der Börsenwert von Novartis ist seit seinem Amtsantritt um 15 Prozent gestiegen.

Hat Novartis eine magnetische Unternehmenskultur? Antwort: Sie haben sich sehr mutig auf den Weg gemacht. Narasimhans hat seine Story gefunden, mit der er die Mitarbeiter des Konzerns mitnimmt. Bei ihm heißt das „UNBOSS“. Nachhaltig wird die Veränderung sein, wenn der Prozess evolutionär und offen über die nächsten Jahre fortgesetzt wird.

Unboss ist ein revolutionäres Führungskonzept. Es ist auch eine Funktionsbezeichnung – für den „Un-Boss“. Und es ist ein Verb – „unbossen“. „Reinventing the Organization“, „Holacracy“, „Kollegiale Führung“ – alle schlagen in dieselbe Kerbe. Wo steht Ihr Unternehmen aktuell? Meinen Sie, dass „Unbossing“ Unternehmenskulturen magnetischer macht?

Ich freue mich über Ihr Feedback!

Mit herzlichem Gruß

Christian Conrad


[1] DIE WELT, Samstag 22. Juni 2019, Seite 9, Dirk Schütz; zuerst erschienen unter dem Titel „Unboss your company: Die Novartis-Revolution“ in der Schweizer „Bilanz“, vom 29.05. 2019.